Dienstag, 23. Oktober 2012

perverses Netz

"Nacht in Los Angeles. Ich fahre meine Vespa ziellos über den Asphalt am Broadway, rote Ampeln, die auf mich warten. Eine Nacht ohne Plan. Überall werden Filme gedreht und verursachen Staus. Paranoia setzt ein. Vielleicht fühle ich mich bloß ein bisschen verloren. Dabei bin ich keineswegs allein, mein neues I-Phone vibriert pausenlos. Jeder neue Eintrag meiner 535 Freunde bei Facebook schickt ein leichtes Zittern von der Brusttasche zur Brustwarze. Noch habe ich nicht kapiert, wie ich diese Funktion ausschalten kann. Ich wechsle auf die andere Seite des Broadways, aber auch dort machen die Filmcrews die Straßen unpassierbar."

Das ist ein Auszug aus einem Text von Tom Kummer. Sie erinnern sich vielleicht, der Star-Reporter mit den grandiosen (im von ihm selbst später als Borderline-Journalismus deklarierten Stil) -V.I.P.-Interviews,die erfunden und so viel besser gewesen sind als je ein Journalist sie hätte mit der echten Sharon Stone oder dem real existierenden Mike Tyson führen können.
Egal, diesen Einstieg habe ich nur gewählt, weil Kummer in vielen seiner Texte - vor allem in seinem Buch "Good Morning, Los Angeles", sehr gut auf den alltäglichen Wahn der sogenannten Mediengesellschaft eingeht.
besonders eindrucksvoll schildert er in oben genanntem Buch die bis zur Perfektion getriebene Grenzüberschreitung jeglicher moralischen Berichterstattung, die im O.J.Simpson-Fall der Gier nach Mammon im Merchandisingkostüm aufs Schafott gelegt wurde.
 
Und das Ganze Dilemma (wenn es denn als solches empfunden wird?) des Netzjournalismus ist mir in Kombination mit unfassbar geschmackloser Werbung heute besonders aufgefallen, als ich einen Artikel zum Tod des KZ-Fotografen Wilhelm Brasse las. Wo bleibt eigentlich in solchen Dingen das wachsame Augenmerk der Medienaufsicht?

Auschwitz-Fotograf Wilhelm Brasse ist tot

 

 

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